Wiedergeboren und doch nicht lebendig.

Es ist eine irgendwie beklemmende Welt – jene der Reborn-Mamis. Wenn sie ihre "Kinder" pflegen, wiegen und schlafen legen, möchte man sich am liebsten vor Unwohlsein winden. Doch was treibt erwachsene Menschen dazu, sich täuschend echt aussehende Babypuppen um 400 Euro zu kaufen und diese wie echte Babys zu bemuttern? 

Da liegen sie, unschuldig und hilflos. Sie haben weiche, feine Babyhaare, eine zarte Haut mit kleinen Makeln, duften nach Babys. Manche haben sogar Hautunreinheiten, wie sie für Neugeborene typisch sind. Hält man sie, lassen sie die schweren, weichen Glieder hängen und bei einigen kann man sogar den Herzschlag fühlen. Manche von ihnen schreien, manche lachen oder schlafen. Ihre Mütter halten das in einen etwas zu großen Strampler gepackte Baby zum ersten Mal im Arm und sind überglücklich. Wie sehr hat sich doch all das Warten und Hoffen gelohnt!

 

Doch Schmerzen sind mit dieser "Geburt" keine verbunden – höchstens beim Zücken der Geldbörse. Für etwa 400 Euro kann man sich eine "Reborn Doll" – wie diese Art der täuschend echt aussehenden Babypuppen genannt wird – bestellen und bekommt eine individuell gefertigte Puppe: Wahre "Babymanufakturen" bieten ihre höchst individualisierbaren Puppen (gerne nach dem Bild des verstorbenen Babys oder weggezogenen Enkels) im Internet an – und das mit einem derartigen Erfolg, dass es manchmal monatelange Wartezeiten gibt. Das kann schon mal 9 Monate dauern. 

 

Wenn sie auf ihre "Mütter" treffen, kommen sie liebevoll verpackt in einem weichen Schmusetuch an. Sie tragen süße Babykleidung und sind mit künstlichem Babyduft beträufelt. Um das Handgelenk hängt ein kleines Geburtsarmband und sie haben ihre eigene "Geburtsurkunde" mit Geburtsdatum, Name, Gewicht und Größe.

Die Herstellung der Puppen ist dann etwas weniger romantisch. 

Wieso überhaupt "Reborn"?

Reborns heißen so, weil die ersten Puppen dieser Art aus "normalen" Spielpuppen entstanden sind. Anfang der Neunziger haben die ersten Hersteller handelsübliche Babypuppen von Berenguer, Zapf und Co. verwendet. Sie bauten die Puppen komplett auseinander, entfärbten sie, entfernten die Plastikhaare und -augen und ließen die Puppen anschließend wieder auferstehen – mit gerooteten Mohair als Babyhaar, seidigen Wimpern, glänzenden Glasaugen und händisch bemalten Gesichtchen, Ärmchen und Beinchen.

2002 landete die vermutlich erste Reborn-Puppe auf Ebay. Anfangs sollte sie noch ein Sammlerstück für Puppensammler darstellen, doch die täuschende Echtheit sorgte rasch dafür, dass vor allem jene Menschen Geld für solche Puppen ausgeben, denen es um die emotionale Bindung zu einem "Baby" geht. 

 

Heutzutage ist von der Idee der Wiedergeburt nur noch die Bezeichnung geblieben: Man entfärbt keine Spielpuppen mehr, sondern kauft Bausätze mit Namen wie "Coco-Malu", "Emmaline" oder "Leon":

Vom Bausatz zur fertigen Puppe:

Das "Emmaline" Reborn Kit (Vinyl mit Stoffkörper) von Donna Lee Originals
Das "Emmaline" Reborn Kit (Vinyl mit Stoffkörper) von Donna Lee Originals
Reborn Kit aus Vinyl (mit Brust-Bauch-Platte) von Donna Lee Originals
Reborn Kit aus Vinyl (mit Brust-Bauch-Platte) von Donna Lee Originals

"Und dann wird die Nase aufgebohrt"

Der Bausatz wird anschließend auf eine derart brutale Art und Weise bearbeitet, dass es einem beim Zusehen körperliche Schmerzen bereitet. Wenn den kleinen Köpfchen mit einer Bohrmaschine die Nase aufgebohrt, die zarte Haut mit Maschinen abgeschleift und die Körperteile im Backofen gehärtet werden, fühlt man sich an Horrorfilme der schlimmsten Art erinnert. Den Puppenbauern scheint das einerlei zu sein, sie erklären das Aufbohren von Nase, Ohren und Mund mit Seelenruhe. 

 

Es sind diese Momente, in denen man merkt, dass man selbst – egal, wie bizarr man die Puppenmamis findet – genausowenig gefeit ist vor der emotionalen Wirkung der hyperrealistischen Puppen. 

 

Der Körper wird entweder aus Vinylplatten geformt (braucht man vor allem, wenn das Geschlecht erkennbar sein oder die Puppe gebadet werden soll) oder aus Stoff genäht und die Füllung aus schwerem Granulat sorgt dafür, dass das Baby auch ein "echtes" Gewicht hat. Anschließend wird's technisch: Soll das Baby Körperwärme haben? Kein Problem, es bekommt eine Heizspirale ins Bäuchlein gesetzt. Soll es einen Herzschlag haben? Gut, dann kommt der kleine Rekorder mit Pulsgeräuschen in die Brust. Und für den optimalen Sitz von Schnuller oder Schleifchen werden Magnete unter die Kopfhaut oder in den Mund implantiert. Alles kein Problem, alles machbar. Anschließend noch die Glasaugen einkleben – in der gewünschten Farbe natürlich. 

 

Dann kommt der "feinste" Teil der Handarbeit: Die Puppe wird gestaltet. Die Haut wird plastisch bemalt, sie ist an einigen Stellen heller, an anderen dunkler. Die Gestaltung des Hauttons, Hautzustands (Pickel, Rötungen, Äderchen, alles ist möglich) und kleiner Merkmale wie Pigmentflecken und Muttermale lassen die Haut der Puppen unfassbar echt wirken. 

"Rollenspiel" oder doch Wahnvorstellung?

Sieht man sie so da liegen, sehen sie auf bizarre Weise echt aus. Und doch weiß man nicht genau, was ihnen optisch zur Wirkung des "Lebendig-Seins" fehlt. Tatsächlich erwecken sie bei mir sogar den Eindruck eines toten Babys – vor allem, wenn sie "schlafen".

 

Die Echtheit ist es auch, die die Käufer der Puppen zu Mamis macht: Laura ist eine erwachsene Frau, die unter dem Nickname "littlexloves" Videos vom Leben mit ihren Puppen auf YouTube stellt. Sieht man sich diese "A Day in the Life of Reborn Dolls"-Videos an, läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Die kleine Zoe hat ein Lieblingsspielzeug, das sie angeblich am liebsten mag und mit dem sie immer besonders glücklich ist. Zoe trinkt gierig aus ihrer Flasche (was die nachträglich hinzugefügten Schmatzgeräusche eindrucksvoll zeigen). Während Mami im Fitnessstudio ist, kommt Zoe in die Kindertagesstätte, auf dem Weg dahin sitzt sie in einem Kindersitz und wird fest angeschnallt, damit ihr nichts passiert. Wenn Laura dann immer wieder lächelnd erwähnt, dass Zoe heute "so sleepy" ist, möchte man den Monitor anbrüllen: "Sie wird auch nicht aufwachen!"

 

Es ist auf eine ganz, ganz seltsame Weise bedrückend:

Denn sie wissen, was sie tun.

Gleichzeitig steht in Lauras Beschreibung zum Video Folgendes:

"I realize these dolls are NOT real children. It is called roleplaying (the acting out or performance of a particular role). They are not real nor do I believe them to be real."

 

Wenn sie im Video auch wie eine Verrückte rüberkommt – angeblich weiß sie genau, was sie hier tut.

 

Die 54-jährige Anasha hatte eine grauenvolle Kindheit und konnte selbst nie Kinder bekommen. Jetzt ist sie "Mutter" von gleich vier Babys, die ihrer Aussage nach nie Probleme machen werden. Sie werden keine Drogen nehmen, keinen Autounfall bauen – und doch erfährt Anasha ihrer Ansicht nach all die positiven Seiten des Mutterdaseins. So beschreibt sie es in der Dokumentation "Living Dolls" von VICE Fringes (Video siehe unten). 

 

Anasha erzählt, wie das Ganze angefangen hat. Nach einer längeren körperlichen Erkrankung wurde sie psychisch krank. Als sie sich kaum mehr zu helfen wusste und sich einer Freundin anvertraute, stellten sie sich gemeinsam die Frage, was ihr denn als Kind bei schwierigen Situationen geholfen hatte – und das war das Spielen mit Puppen gewesen. 

 

Die 54-Jährige scheint sich der Seltsamkeit ihres Hobbys bewusst zu sein. Sie beschreibt, wie sich andere Leute Gedanken machen, warum sie mit Puppen spielt: Die Menschen würden davon ausgehen, dass sie eben einen nicht gelebten Kinderwunsch hat und eine schlechte Kindheit gehabt hätte. Doch ihr Umgang damit erstaunt:

"Die anderen sagen: 'Das kommt da und da und daher.' Und jetzt kann ich mir überlegen: Verletzt mich das oder sage ich: 'Ja, das kommt da und da und daher. Ja, ich hätte gerne Kinder gehabt und es ist schön, dass ich jetzt Muttergefühle habe. Ja, da ist was in meiner Kindheit schiefgelaufen und jetzt heilt es gerade ein bisschen aus.' Warum will man denn das alles verstecken?"

 

Es ist und bleibt ein äußerst seltsames Hobby. Doch SO verrückt, wie die "Mütter" der Reborn Dolls auf den ersten Blick scheinen, sind sie wohl nicht. Die Frage, ob der realistische Umgang mit ihren Kindern nun ein krankhaftes Verhalten oder doch ein emotional wohltuendes Hobby ist, bleibt offen. Anasha hat dazu ihr ganz eigenes Motto: "Willst du normal sein oder glücklich?"

 

Sich eine Meinung über diese Frage zu bilden, steht meiner Meinung nach aber niemandem zu, der nicht die VICE-Doku dazu gesehen hat:

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