Todkrank – krank, aber nicht tot.

Mary ist 27 und wird sterben. Wie wir alle, zugegebenermaßen – doch sie muss in einigen Jahren mit dem Schlimmsten rechnen. Ihre Krankheit ist unheilbar, ihr Lebenswille auch. 

Über die Welt der chronisch Kranken und die Frage, ob Mary tatsächlich so krank ist, wie sie es in ihren daily vlogs zeigt.

Wenn Mary mit Peter spazieren geht, würde niemand etwas Besonderes an der jungen Frau bemerken, die da mit ihrem Ehemann unterwegs ist. Sie ist 27 Jahre alt, hat langes, blondes Haar, einen sehr schlanken, aber drahtigen Körper und ein rosiges Gesicht. 

 

Doch die Röte auf ihren Wangen kommt nicht vom Apfelessen: Vor zwei Minuten noch hockte Mary auf dem Boden und hustete sich die Seele aus dem Leib. Wenn sie hustet, geht ein Schütteln durch ihren Körper. Die Schultern biegen sich nach vorne, ihre sonst so aufrechte Haltung verändert sich zu der eines buckligen alten Mannes. Sie versucht, sich mit den Händen am Boden abzustoßen, ihr Kopf läuft rot an vor Atemnot und Anstrengung. 

Die 27-Jährige aus Boston hat Mukoviszidose. 

Mary Frey (Screenshot YouTube)
Mary Frey (Screenshot YouTube)

Der Schleim ist das Problem.

Mukoviszidose – auch zystische Fibrose oder auf Englisch cystic fibrosis (CF) genannt – ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, die bei den meisten Betroffenen spätestens nach wenigen Lebenswochen erkannt wird. Etwa eines von 2000 geborenen Kindern ist betroffen. Die Körper der Erkrankten haben eine kleine, aber ausschlaggebende Fehlfunktion: Ihre Zellen geben kein Wasser an umliegendes Gewebe ab. Sämtliche Produktion von Sekreten und Schleim, die für uns zwar eklig, aber lebensnotwendig ist, ist dadurch verändert. Die Betroffenen produzieren insgesamt zu viel und zu zähflüssigen Schleim. Das betrifft manche Funktionen nicht, doch schränkt sehr viele lebenswichtige Funktionen ein. 

 

Das größte Problem ist bei den meisten CF-lern die Lunge: Der zu dicke Schleim bleibt in den Bronchien und bietet dort die perfekte Basis für Bazillen, die unsereins nicht einmal husten ließen – doch Mary Freys Lunge wird immer wieder von multiresistenten Bakterien, Viren und Pilzen befallen, die sie eigentlich in einer ständigen mittleren bis schweren Lungenentzündung leben lassen. 

Außerdem betroffen sind Verdauung, Zuckerhaushalt und Knochendichte. 

 

Mukoviszidose ist progressiv – also eine Krankheit, die im Laufe des Lebens immer schlechter wird. Die Lunge vernarbt und verliert an Funktion, die Bauchspeicheldrüse kann den Zuckerhaushalt nicht ausgleichen, mit jeder Mahlzeit müssen immer mehr Enzyme zu jeder Mahlzeit eingenommen werden, um überhaupt etwas davon verdauen können. Durchschnittlich haben Mukoviszidose-Patienten eine Lebenserwartung von etwa 40 Jahren, doch Marys Erkrankung verläuft schwerer, ihr bleibt möglicherweise weniger Zeit – oder die Möglichkeit einer lebensrettenden Lungentransplantation. 

Dauerhaft verkabelt.

Mary braucht etwa alle zwei bis drei Wochen Immunglobulin-Infusionen und ein paar Mal im Jahr Antibiotika-Infusionen über Wochen hinweg. Dafür ständig eine "Leitung" liegen zu haben, wäre schmerzhaft und würde kaum funktionieren. Deshalb hat Mary seit ihrem 15. Lebensjahr einen sogenannten "Port" – also einen implantierten Zugang zu einer Herzvene direkt unter der Haut auf Marys Brust. Braucht sie einen Zugang, muss sie selbst mit einer dafür vorgesehenen Nadel in die Haut stechen und erreicht damit die Vene durch den Port wie durch einen Trichter. 

 

Außerdem kann sie ihr Körpergewicht nicht halten: Die schlechte Verdauung zwingt sie nicht nur zur Einnahme von 28 Pillen am Tag (zusätzlich zu den gut 15 anderen täglichen Medikamenten), sondern führt auch einerseits zu kaum vorhandenem Appetit und andererseits zu einem hohen Kalorienbedarf. Sie muss in etwa die doppelte Energiemenge eines gesunden Menschen ihrer Größe aufnehmen – und verbraucht durch dauernde Entzündungen und das ständige Husten noch mehr als andere. 

Deshalb hat Mary seit kurzem eine Magensonde, die direkt in ihren Dünndarm geht und sie dort mit einer Flüssignahrung versorgt. 

 

Ist Mary unterwegs, sieht man sie also manchmal gleich mit zwei Schläuchen, die zu ihrem Rucksack führen: Einem aus der Magensonde zur Sondenpumpe und einem aus dem Port zur Infusionspumpe. Meist noch mit einem Mundschutz und ihrem Assistenzhund "Ollie", kann man dann doch auf den ersten Blick die unheilbar kranke junge Frau sehen. 

Marys Portkatheter (Screenshot YouTube)
Marys Portkatheter (Screenshot YouTube)
Marys Magensonde (Screenshot YouTube)
Marys Magensonde (Screenshot YouTube)

Fake!

Und doch gibt es Leute, die jemandem ohne tiefe Augenschatten, Rollstuhl oder mit Blindenstock keine Behinderung oder Krankheit glauben möchten. Als Mary und ihr Mann Peter vor drei Jahren begannen, täglich Vlogs auf YouTube zu stellen, fanden sich unter ihren Subscribern durchaus einige "FAKE!"-Schreier. Abgesehen von der moralischen Fragwürdigkeit einer solchen Beschuldigung fragt man sich durchaus, wer denn so viel Geld und Zeit in die Illusion einer tödlichen Erkrankung stecken würde. 

 

Doch auch abseits der YouTube'schen Untiefen wird Marys Krankheit angezweifelt: In einem Vlog erzählt sie davon, in einem Supermarkt der Kette "Dollar Tree" angesprochen worden zu sein: 

 

"Your dog appears to be a service dog, but you don't appear to need one."

 

Doch Mary braucht Ollie, den Standard Poodle, sogar sehr: Er erkennt, wenn ihr Blutzucker fällt, hilft ihr, die Balance zu halten, wenn sie sich schwindlig fühlt und dient ihr als Stütze in besonders schlimmen Hustenanfällen:

Mary und Ollie (Screenshot YouTube)
Mary und Ollie (Screenshot YouTube)

Vom Rollstuhl zum Kopfstand.

Seit Mary immer wieder verkabelt, mit dem Rollstuhl oder mit Schläuchen aus Brust und Bauch unterwegs ist, werden die "Fake!"-Schreier weniger. Und doch ist für viele schwer zu verstehen, dass die junge Frau, die soeben noch im Rollstuhl saß, zuhause Yoga-Übungen schafft, die ich in meinem Leben nicht zusammenbringen werde:

Yoga: Der zusehende Hund (Screenshot YouTube)
Yoga: Der zusehende Hund (Screenshot YouTube)

Doch so einfach ist es nun mal nicht. Obwohl Mary zuhause jeden Tag für einige Minuten trainiert, um ihre Muskeln vor dem Erschlaffen und Abnehmen zu bewahren: Sie weiß, wenn sie den Vergnügungspark zu Fuß beschreitet, wird sie erschöpft sein, Atemnot haben und mehrmals minutenlang husten müssen. Also nutzt sie den Rollstuhl – wäre es nicht idiotisch, die Anstrengung auf sich zu nehmen, nur weil jemand von der aus dem Rollstuhl aufstehenden Frau irritiert sein könnte?

Es kommt was rein.

Mittlerweile haben Mary und Peter mehr als 130.000 Abonnenten und scheinen neben Peters Tätigkeit als Pastor vor allem von YouTube-Werbung und dem Verkauf ihrer Taschen, Wandbildchen und Sticker im Online-Shop zu leben. Das hilft nicht gerade beim Rechtfertigen, doch mit "Hatern" beschäftigen sich die beiden schon lange nicht mehr. Stattdessen pflegen sie ihre Community, die gleichzeitig ihre Zuseher, aber auch ihre Käufer der Produkte sind. Die Community aus Frey-Fans besteht zu einem ordentlichen Anteil aus Leuten, die selbst chronisch krank sind – doch auch aus Leuten wie mir, die damit noch nie etwas zu tun hatten. 

 

Und schon mit dem ersten Video tat sich da wieder die Tür auf – die in die Welt einer todkranken jungen Frau. Ob von Zenpeps, Castein, IVIGs, Fuel oder multiresistenten Keimen die Rede ist: Ihre Zuseher wissen, wovon die Freys sprechen. Das tägliche Fenster zum Leben des Ehepaars ist der Einblick in die Welt zweier Menschen (und eines Hundes), die ihr Leben nehmen, wie es eben kommt und wissen, dass es sich jeden Tag abrupt verändern kann. Es ist aber auch eine Welt, die für Außenstehende so viele Besonderheiten, Regeln und Abläufe bietet, dass man nicht umhin kann, ihr Leben kennenlernen zu wollen.  

 

Und wenn man die Einstellung der Freys zum Tod, zu Begräbnissen und zu schwarzem Humor kennt, dann weiß man: Mary ist todkrank.  Sie ist krank – aber noch lange nicht tot. 

The Frey Life – jeden Tag ein neues Video auf YouTube
The Frey Life – jeden Tag ein neues Video auf YouTube

Kommentar schreiben

Kommentare: 0