Das Spiel. 0:0 zwischen Stadt und Land.

Mein Mann sagt, er hat sich schon immer eine Frau vom Land gewünscht. Ich kann mich nicht entscheiden, ob das ein Kompliment ist oder doch eher als Beleidigung aufzufassen ist.

Aber natürlich meint er es mehr als gut. Er hatte eine (zugegebenermaßen sehr romantische) Vorstellung von einer Frau, die bodenständig aufgewachsen ist. Und er hat das bekommen, was er wollte: Ich bin aufgewachsen in einem 1500-Seelen-Ort der Südweststeiermark. Und hier gibt es viel Boden. 

 

Dass es schon bei 45 km Entfernung jedoch so starke kulturelle Unterschiede geben kann, wurde mir erst beim Umzug in die nächste große Stadt (fast 300.000 Einwohner – für österreichische Verhältnisse schon fast eine Großstadt) bewusst.

Das Spiel.

Städter verstehen es nicht und setzen sich an den Spielfeldrand. Und Landmenschen stehen anschließend alleine am Spielfeld und wundern sich, wo die anderen Spieler geblieben sind.

Ihr kennt das Spiel nicht? Ich erkläre.

 

Meine Oma ist mittlerweile 92 und dem Alter entsprechend natürlich Stammgast im Krankenhaus. Als sie letztens von Rettungsmenschen ins Krankenhaus gefahren wurde, war sie danach ziemlich aufgebracht: „Das ist eine Frechheit, FÜNF EURO Trinkgeld hat der genommen!!!“
Uns war nicht klar, wie sie das meinte. Hat der Rettungsfahrer etwa Geld von ihr verlangt? Aber nein, es stellte sich heraus, dass sie ihm das Geld angeboten hat und davon erschüttert war, dass der – übrigens aus der Stadt kommende – Fahrer es angenommen hat.

Wie kann er nur?

Egal, was einem angeboten wird – „bei mir daheim“ sagt man zuerst mal Nein. Genauer gesagt sagt man "Nein, also wirklich nicht. Nein, echt nicht, das musst du nicht tun, das möchte ich wirklich nicht."

Die Höflichkeitsregeln besagen dann, dass der Anbieter in der zweiten Phase dieses Spiels absolut darauf bestehen muss und so tun muss, als würde es ihm das Herz zerreißen, wenn dieses Angebot nicht angenommen würde.

In der dritten Phase des Spiels nimmt die empfangende Person das Angebot völlig widerwillig und unter größtmöglichem sicht- und hörbaren Unwohlsein an.

 

Wo das Problem dabei liegt, wird schnell klar: Wenn der Anbieter ein Nein des potenziellen Empfängers auch als solches versteht, sitzen hier zwei unzufriedene Leute. Der Anbieter wundert sich, wieso der Empfänger sein Angebot nicht annimmt und der Nicht-Empfänger wundert sich, wieso er jetzt nichts bekommt.

Ein Beispiel gefällig? Bitteschön:

Landmensch 1: „Möchtest du etwas trinken?“
Landmensch 2: „Du, danke, nein!“
Landmensch 1: „Wirklich nicht? Ich hab Saft da und Mineralwasser und Kaffee und Cola.“
Landmensch 2: „Nein, das ist wirklich lieb, tu dir bitte nichts an.“
Landmensch 1: „Komm schon, bitte, ich bring dir gerne etwas! Wein haben wir auch!“
Landmensch 2: „Mei ... Also du, wirklich!“
Landmensch 1: „Komm, ich hol dir jetzt was. Magst du einen Wein?“
Landmensch 2: „Ja, also wenn du meinst, Danke!“

 

Und nun die Variante 2:

 

 

Stadtmensch:  „Möchtest du etwas trinken?“
Landmensch: „Du, danke, nein!“
Stadtmensch: „Okay.“
Landmensch [denkt]: „Ich hab Durst.“

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Kommentare: 2
  • #1

    DOC_N (Donnerstag, 27 Juli 2017 23:16)

    Ein Spiel, das Angst macht, wenn man es nicht komplett durchschaut hat - weil jedes Wort in diesem Ritual eine andere Bedeutung hat. Aber das ist ja eine eigene Welt, und damit ein perfektes Beispiel für dein Blog. Wunderbar!

  • #2

    Juliane (Donnerstag, 27 Juli 2017 23:20)

    So spricht nur jemand, der das Spiel schon gespielt hat. :) Thanks!